"Fremde" Konflikte mit "kaukasischen" Augen


Konflikte in Kaukasien stehen wie Konflikte weltweit in einem regionalen und internationalen Kontext von Ursachen, Interessen und Akteuren. Das betrifft nicht nur ihre Entstehung und Dynamik, sondern auch Lösungen.

Hauptanliegen unserer bisherigen Projekte war es vor allem Vertreter*innen der kritischen Intelligenz aus dem Hochschul- und Bildungsbereich mit südkaukasischen Friedensinitiativen zusammen zu bringen, um sich im Kontext des Konfliktgeschehens über Probleme der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in den jeweiligen Ländern zu verständigen, Leitlinien und Projekte zu entwickeln, um Stereotypen und Feindbilder in den Geisteswissenschaften und Medien abzubauen, die friedliche Konfliktlösungen behindern und Intoleranz fördern. Besonders wichtig war es uns, nicht westeuropäische Lösungsansätze als „Heilmittel“ zu präsentieren oder einen „Konfliktkonferenztourismus“ zu fördern, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse westlicher Forschung im Kontext kaukasischer Realitäten zu diskutieren und als Mediator für eigenständige Lösungsstrategien zur Verfügung zu stehen. Insofern entwickelte sich ein Dialogforum, welches seit 2013 verstärkt auf die junge Generation setzt, um neue Formen des Dialogs und der Friedensarbeit zu fördern.

In der ersten Förderphase („Die Rolle des Bildungssektors und zivilgesellschaftlicher Akteure bei der Prävention und Mediation von Konflikten in Südkaukasien.“ - 2009) war es Anliegen des Projektes, sich über Probleme der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in den jeweiligen Ländern zu verständigen und Leitlinien zu erarbeiten, um Stereotypen, Feindbilder und Hasspropaganda in den Geisteswissenschaften und Medien abzubauen, die friedliche Konfliktlösungen behindern und Intoleranz fördern. Dabei wurden Erfahrungen der deutsch-polnischen, deutsch-französischen Lehrbuchkommissionen vorgestellt, die Übertragbarkeit dieser Form des Dialogs geprüft und Schritte der praktischen Umsetzung diskutiert.

Da als ein grundsätzliches Defizit der konfliktpräventiven Arbeit die fehlende Kommunikation zwischen den Geisteswissenschaftlern der Region ausgemacht wurde, entschieden sich die Antragsteller in einer zweiten Förderphase 2012/13/15 eine solche Plattform zu etablieren („MITEINANDER WISSEN ERWERBEN – VERMITTELN – ERWEITERN: Vernetzung junger Historiker Südkaukasiens“
„CLIO - KAUKASUS: Informations- und Kommunikationsplattform junger Geisteswissenschaftler Südkaukasiens zur Konfliktprävention“ – 2012/13).

In einer dritten Förderphase („Dekonstruktion national(istisch)er Geschichtsmythen. Wissenschaftspraktisches Training – Südkaukasien 2014“) ging das Projekt auf die wachsende Bereitschaft und die Fähigkeit zur kritischen Hinterfragung von nationalen Geschichtsmythen ein. Vor den Hintergrund einer durch die vergangenen Projekte entstandenen vertrauensvollen Gesprächskultur wurden im Rahmen eines wissenschaftspraktischen „Trainingslagers“ vor allem Nachwuchswissenschaftler*innen und Student*innen bei der kritischen Auseinandersetzung mit tradierten Klischees über die nationale, regionale und internationale Geschichte und Kultur unterstützt. Für eine Förderphase 2015 wurde auf Anregung der Teilnehmer ein kulturhistorischer und kultureller Schwerpunkt unter dem Titel „MEIN – DEIN – UNSER. Lokale Authentizität und kulturelle Vielfalt als Brücke der Versöhnung in Südkaukasien?“ gewählt. Hierbei kristallisierte sich eine neue Herausforderung im Bereich Konfliktprävention heraus: die unterschiedlichen Erfahrungen und Vorstellungen von drei Generationen von Friedensaktivisten. Zwar kann nicht von einem „Generationskonflikt“ innerhalb der Zivilgesellschaften Georgiens, Armeniens und Aserbaidschans gesprochen werden, aber unser Workshop 2016 „Alte Konflikte – neue Generation. Gesellschafts- und Konfliktanalyse zur Entwicklung von Handlungsoption in Südkaukasien – Sommerlager 2016“ bestätigte, wie unterschiedlich diese Generationen von eigentlich gleichgesinnten Friedensaktivisten mit konkreten Fragen der Analyse ihrer gesellschaftlichen Realitäten, der Entwicklung von Strategie und Taktik bei der Friedensstiftung umgehen. Das betrifft einerseits Einschätzungen der sozialpsychologischen Situation und der Versöhnungsstimmungen in den jeweiligen Gesellschaften, andererseits aber auch unterschiedliche Erwartungen an die eigenen Aktivitäten. Die Vermutung, dass die Gefahr einer Verhärtung von Positionen, der Spaltung und damit Schwächung der Friedenskräfte besteht, hatte sich leider bestätigt, so dass wir die Schlussfolgerung zogen, stärker mit jenen kreativen Nachwuchswissenschaftlern*innen zu arbeiten, die sich aktiv für eine Verständigung einsetzen und nach neuen Vertretern der jungen Generation zu suchen, die bereits sind - trotz der schwierigen Situation in ihren Heimatgesellschaften – einen versöhnlichen Dialog zu führen. Diese wurden 2018 im Rahmen des Dialogforums Geschichte und "Geschichten": Kollektive Identitäten, Opfer- und Täternarrative als Waffen in den Konflikten Südkaukasiens zusammengeführt.

Vor dem Hintergrund zunehmender Informiertheit der jungen Generation über historische und aktuelle Konflikte auch außerhalb der Region und der verstärkten Suche der Betroffenen nach Lösungsansätzen erleben wir eine Zunahme der Diskussion über internationale Erfahrungen bei der nachhaltigen Lösung von Konflikten. Diese Diskurse verstärken sich insbesondere seit dem Machtwechsel in Armenien und hier setzt unsere geplante Maßnahme 2019 an.

Am Beispiel internationaler Konflikte und ihrer (auch Nicht-)Lösung soll der Diskurs über Lösungsansätze aufgegriffen und aktiviert werden, um mit realistischen Szenarien auch öffentlichen Diskussionen Impulse zu geben. Zugleich wird auch in der wissenschaftlichen Literatur über Mängel an theoretischen Konzeptualisierungen von „reconciliation“ (Versöhnung) und empirisch gesichertem Wissen über Mechanismen und Ansätze von Versöhnungsprozessen beklagt[1], so dass auch hier ein Erkenntnisgewinn aus kaukasischer Perspektive zu erwarten ist.

Principal investigators
Auch, Eva-Maria Prof. Dr. (Details) (History of Azerbaijan)

Financer
DAAD

Duration of project
Start date: 01/2019
End date: 12/2019

Last updated on 2022-07-09 at 19:08