SPP 2134/1: Funktionelle Aspekte des minimalen Selbst – der Fall Schizophrenie
Das Gesamtziel dieses Projekts ist eine vollständige und detaillierte Darstellung der Störungen des minimalen Selbst bei Schizophrenie-Patienten. Zudem werden experimentelle Daten einer Patienten-Gruppe dazu verwendet, deren Verhalten auf humanoide Roboter zu übertragen, um allgemeine Prinzipien der Entwicklung eines aktiven Selbst zu gewinnen. Schizophrenie stellt eine schwerwiegende psychische Störung dar, bei der Störungen des Selbst in Form von Mangel an prä-konzeptionellem Weltverständnis und Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit auftreten. Patienten berichten eine stetige Empfindung von Leere der eigenen Identität und ein Gefühl von Selbst-Veränderung. Symptome beinhalten Störungen in Wahrnehmung, Körperlichkeit, Demarkation, im Selbstempfinden sowie existentialistische Umorientierung. Sie können im Detail mithilfe des „Examination of Anoumalous Self-Experience“ (EASE; Parnas et al., 2005), eines halb-strukturierten klinischen Interviews erfasst werden, das sich auf erfahrungsbezogene und phänomenologische Beeinträchtigungen in Schizophrenie-Spektrum-Störungen konzentriert. Eine computationale Theorie der Schizophrenie beschreibt Störungen des Selbst, des sog. Sense of Agency (SoA) und Sense of Ownership, als fehlerhafte aktive Inferenzen. Patienten zeigen ungenaue sensumotorische Vorhersagen, was zu Defiziten in sensorischer Abschwächung, anomalen Augenbewegungen und gestörten Wahrnehmungen von Handlungen und des eigenen Körpers führen kann. Dimensionen der Störungen des Selbst werden über neurokognitive Prozesse erfasst, die mit den Skalen des EASE verknüpft werden. Wir werden an Patienten in der ersten akuten Episode (ICD-10: F20.0) und gesunden Probanden behaviorale Experimente durchführen, die direkt mit den EASE Dimensionen zu Selbst-Wahrnehmung, körperlichen Erfahrungen und Demarkation (Selbst-Fremd-Unterscheidung) korrespondieren. Strukturgleichungsmodelle werden genutzt, um Beziehungen zwischen den Subskalen des EASE und den neurokognitiven Daten empirisch zu testen. Zudem werden wir ein neues, visuomotorisches Paradigma zur Erfassung des SoA bei Patienten nutzen, um deren Verhaltensweisen in einem humanoiden Roboter zu simulieren. Das Muster an gestörtem Verhalten wird mit unterschiedlichen probabilistischen Modellen in einem handlungsfähigen Roboter verglichen, um ein Läsionsmodell eines gestörten SoA aufzustellen. Unser Projekt wird untersuchen, wie Störungen des aktiven Selbst bei Schizophrenie sensomotorisches Verhalten und kognitive Prozesse beeinflussen. Die Umsetzung einer gestörten Selbst-Wahrnehmung in einen Roboter stellt einen weltweit einzigartigen Ansatz dar. Dieses „Läsionsmodell“ der Selbststörung wird unser Wissen über wesentliche Mechanismen der Entwicklung eines Selbst erweitern. Letztlich werden unsere Ergebnisse das Verständnis von Schizophrenie als Störung des grundlegenden Selbst-Empfindens verbessern und zur Entwicklung neuer Therapieformen für die Rekonstituierung des aktiven Selbst beitragen.
Mittelgeber
Laufzeit
Projektstart: 03/2019
Projektende: 02/2022
Forschungsbereiche
Forschungsfelder