Abbau verhaltensinduzierter Lebensmittelrisiken: Eine Moral Hazard Analyse der monetären Anreizsituation in den Wertschöpfungsketten "konventionelles Geflügel und Öko-Geflügel"
Nahrungsmittelrisiken können in sog. technologische und moralische Risiken unterteilt werden. Unter ersterem versteht man Risiken, die durch Informationsdefizite bzgl. der Auswirkungen aktueller Produktionsverfahren bzw. durch technisches oder menschliches Versagen in der Produktion entstehen. Moralisches Risiko (Moral Hazard) bezeichnet dagegen Situationen, in denen es zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit gefährlicher oder unerwünschter Lebensmitteleigenschaften kommt, weil Akteure der Wertschöpfungskette zu ihrem Vorteil gegen Normen verstoßen (opportunistisches Verhalten).
Grundsätzlich besteht die Gefahr von Moral Hazard in der Nahrungsmittelproduktion immer dann, wenn Informationsasymmetrien zwischen den Handelspartnern bestehen und wenn Normverstöße (opportunistisches Verhalten) gemäß individuell-betriebswirtschaftlichem Kalkül rentabel sind. In Abhängigkeit von der Präferenzstruktur (Werteeinstellung) der jeweiligen Akteure und der Existenz Norm stützender protektiver Faktoren sind bei Vorliegen fehlgeleiteter ökonomischer Anreize in unterschiedlichem Maß Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften bzw. gegen vertragliche Absprachen zu erwarten.
Vor diesem Hintergrund sind aus Sicht des Verbraucherschutzes folgende Fragestellungen zu untersuchen: (i) Wo sind innerhalb dieser Wertschöpfungsketten in der Ernährungswirtschaft die ökonomischen Anreize für opportunistisches Verhalten der beteiligten Akteure besonders hoch? (ii) Wie verhalten sich verschiedene Akteure angesichts fehlgeleiteter ökonomischer Anreize tatsächlich? (iii) Wie kann durch (Präventions-) Maßnahmen der Betroffenen (Handelspartner, Staat, Konsumenten) gegengesteuert werden?
Das aus Mitteln der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) finanzierte Verbundforschungsprojekt hat sich zur Aufgabe gesetzt, einen Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Bereich Mastgeflügel zu leisten. Ziel des Projektes ist es, die Ursachen und Bedingungen des Entscheidungsverhaltens der Akteure auf den verschiedenen Stufen der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Mastgeflügel zu analysieren und Präventionsempfehlungen zur Vermeidung von zukünftigen Normbrüchen abzuleiten. Das Design aussichtsreicher Maßnahmen zur Prävention von Normbrüchen macht einen interdisziplinären Ansatz erforderlich, bei dem eine ökonomische Analyse durch eine sozialwissenschaftliche Analyse ergänzt wird. Die damit verbundenen Aufgaben werden vom Fachgebiet Allgemeine Betriebslehre des Landbaus der Humboldt-Universität zu Berlin und vom Institut für Kriminologische Sozialforschung (IKS) der Universität Hamburg wahrgenommen. Das Projekt gliedert sich in folgende Teilbereiche:
Teil A umfasst die Identifikation und Analyse potenzieller Normverstöße.
Im Rahmen einer positiven Analyse werden Schwachstellen entlang der betrachteten Wertschöpfungsketten konventionelles Geflügel und Öko-Geflügel identifiziert. Dazu werden die wirtschaftlichen Einflussgrößen auf die Entscheidungssituationen der jeweiligen Akteure (von der Futtermittelherstellung bis zum Lebensmitteleinzelhandel) erfasst und auf ökonomische Anreize für Normverstöße analysiert. Komplementär dazu werden die Präferenzstrukturen der Akteure und soziale Verhaltensdeterminanten untersucht. Dies ist erforderlich, da Entscheidungshandeln nicht nur von ökonomischen, sondern auch von identitäts-, wert- und affektbezogenen Parametern abhängt und sich Akteure in einer Vielzahl von Fällen entgegen der rein ökonomischen Rationalität für die Befolgung der Normen entscheiden. Im Ergebnis sind die Ursachen des Entscheidungsverhaltens maßgeblicher Akteure bekannt. Es liegen z.B. Listen von Schwachstellen vor, die aufzeigen, wo die höchsten ökonomischen Anreize für Verstöße mit fehlender Akzeptanz der Normen und fehlenden Faktoren sozialer Kontrolle zusammenfallen.
Teil B umfasst die Ableitung effizienter Präventionsmaßnahmen. Im Rahmen einer normativen Analyse wird untersucht, an welchen Stellen konkrete Veränderungen der Rahmenbedingungen im Sinne einer effizienten Prävention sinnvoll und machbar sind: (i) Aus ökonomischer Sicht geht es darum, fehlgeleitete monetäre Anreize abzubauen. Beeinflussbare Größen sind hierbei z.B. Kontrollintensitäten sowie Sanktionshöhen, die vom Gesetzgeber festgelegt werden, aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit und zur privatrechtlichen Durchsetzung vertraglicher Vereinbarungen. (ii) Aus sozialwissenschaftlicher Sicht geht es um die Frage, wie außerökonomische Anreize zur Normeinhaltung (protektive Faktoren) verstärkt werden können. Die Lokalisierung protektiver Faktoren gegen ökonomische Verlockungen ermöglicht die Formulierung von Optionen ihrer systematischen politisch-administrativen Förderung. Bei der Ableitung von Präventionsempfehlungen werden die ökonomischen und kriminologischen Befunde gleichzeitig berücksichtigt; d.h. es werden gezielt in sich stimmige Maßnahmen zum Abbau fehlgeleiteter ökonomischer Anreize und zur Stärkung protektiver Faktoren identifiziert.
Teil C umfasst die Entwicklung von Verfahrensrichtlinien. Um das aus dem Gesamtprojekt gewonnene prozedurale Wissen auch für andere Untersuchungsbereiche verfügbar zu machen, wird in einem ergänzenden Schritt ein Leitfaden entwickelt. In diesem werden die generalisierbaren Ablauferfordernisse systematischer Moral-Hazard-Analysen im Nahrungsmittelbereich erfasst. Dadurch wird ein Beitrag zur Früherkennung von verhaltensinduzierten Lebensmittelrisiken und zur Effizienzsteigerung staatlicher Maßnahmen des Verbraucherschutzes in anderen Wertschöpfungsketten geleistet.
Mittelgeber
Laufzeit
Projektstart: 04/2005
Projektende: 01/2007
Publikationen
HIRSCHAUER, N. (2004): A Model-Based Approach to Moral Hazard in Food Chains. What Contribution Do Principal-Agent-Models Make to the Understanding of Food Risks Induced by Opportunistic Behaviour? Agrarwirtschaft - German Journal of Agricultural Economics 53(5): 192-205.
HIRSCHAUER, N., MUßHOFF, O. (2004): Why complete traceability is not enough to confide: Farmers incentives for fungicide fraud. In: Hofstede, G.J., Spaans, L., Schepers, H., Trienekens, J., Beulens, A. (eds): Hide or confide: the dilemma of transparency: 41 49, Gravenhage, Netherlands.
HIRSCHAUER, N., SCHEERER, S. (2005): The Prevention of White-collar Crime in the Food Sector. An Interdisciplinary Applied Research Approach. In: Kerner, H.-J., Marks, E. (Hrsg.): Internetdokumentation Deutscher Präventionstag. Hannover.
http://www.praeventionstag.de/content/10_praev/doku/hirschauerscheerer/index_10_hirschauerscheerer.html
HIRSCHAUER, N., MUßHOFF, O. (2005): The Consequences of Heterogeneous Agents and Moral Hazard on Food Safety and Trade. In: Proceedings 92. EAAE Seminar Quality Management and Quality Assurance in Food Chains in Göt-tingen vom 2. bis 4. März 2005 (im Druck).
ZWOLL, S., HIRSCHAUER, N. (2006): Preliminary results of an interdisciplinary approach to trust and deviance in the German poultry chains. EAAE Seminar Trust and Risk in Business Networks in Bonn vom 8. bis 10. Februar 2006 (forthcoming).