Schwellenepochen: Zum Verhältnis von Kulturgeschichte und Ereignisgeschichte
Jede Kultur zeichnet sich durch Phasen mehr oder minder gravierender Veränderung aus. Diese Veränderungen können sich unabhängig voneinander im eigenen zeitlichen Rhythmus vollziehen, sie können aber auch zeitlich zusammenfallen. Das gleichzeitige Auftreten einschneidender Umwälzungen in verschiedenen kulturellen Horizonten lässt die betreffenden Zeitstufen als Schwellenepochen begreifen. Als solche sind sie attraktive Fallstudien für grundsätzliche Diskussionen um die Methoden und Möglichkeiten historischer Interpretation kultureller Phänomene. Die Gleichzeitigkeit im Auftreten der Veränderungen lässt übergreifende kausale Zusammenhänge vermuten. Diese werden meist in grundsätzlicheren Verschiebungen im mentalen und psychischen Haushalt der Gesellschaft verortet, welche wiederum als Ausdruck einschneidender historischer Ereignisse (Krieg, Umwälzungen im politischen System etc.) verstanden werden. Unter der Prämisse eines solch engen kausalen Zusammenhangs erscheinen kulturhistorische Veränderungen somit vor dem Spiegel der Ereignisgeschichte unmittelbar erklärbar. Dieser Ansatz historischer Interpretation ist innerhalb der Klassischen Archäologie vor allem an folgenden Epochen ausgelotet worden und scheint sich hier bewährt zu haben: 1) der Phase der Spätarchaik und Frühklassik bzw. ereignishistorisch definiert, der Zeit der jungen Demokratie Athens und der Perserkriege; 2) der Phase des Reichen Stils bzw. der Zeit des Peloponnesischen Krieges; 3) der Wende von der Spätklassik zum Hellenismus bzw. dem Zeitalter Alexanders d.Gr.; 4) dem Zeitalter des Augustus bzw. der Wende von der ausgehenden Republik zur frühen Kaiserzeit; 5) der Phase des sog. spätantoninischen Stilwandels bzw. der Zeit der Markomannenkriege; 6) der Wende zur Spätantike bzw. dem Zeitalter der Tetrarchie und Constantins d.Gr.. Die jeweils greifbaren Veränderungen im kulturellen Haushalt, besonders im thematischen Spektrum sowie in der Formsprache der Bildkunst, werden dabei in unmittelbarerer Relation mit den jeweiligen einschneidenden, politischen und militärischen Erfahrungen der jeweiligen Gesellschaft interpretiert. Im Rahmen des Forschungsprojektes soll genau an diesen Fallbeispielen angesetzt und die Möglichkeiten und Grenzen einer so ausgerichteten historischen Interpretation erneut geprüft werden. Denn es ergeben sich mit Blick auf manche dieser Epochen begründete Zweifel, die einzelnen Veränderungen, aus denen sich das Phänomen der Schwellenepoche konstituiert, immer bzw. ausschließlich anhand einschneidender Erfahrungen in der Ereignisgeschichte erklären zu können. Vielmehr scheinen es zum Teil gerade nicht so sehr die Momente ereignishistorischer Zäsuren zu sein, in denen die grundlegenden Verschiebungen im kulturellen Horizont angestoßen werden, sondern häufig ereignishistorisch blassere Phasen. Hier offenbart sich ein komplexeres Zusammenspiel zwischen der Geschichte der Bilder bzw. Artefakte und der Geschichte der Ereignisse, dass es neu auszuloten gilt: als Grundlage für eine erneute Diskussion um die Methode der historischen Interpretation. Die Realisierung dieses Projektes ist im Rahmen einer größer angelegten, interdisziplinären wie auch internationalen Forschergruppe konzipiert. Conditio sine qua non ist die Kooperation mit Klassischen Philologen und Althistorikern; angestrebt ist aber auch der Dialog mit anderen kultur- und kunsthistorischen Disziplinen, in denen sich diese Fragen unter ähnlichen Voraussetzungen stellen und die anhand anderer Fallstudien weiterführende Beiträge gerade für die Fragen nach den methodischen Möglichkeiten eröffnen könnten.
Mittelgeber
Laufzeit
Projektstart: 10/2008
Projektende: 12/2012