Ambivalente Anerkennungsordnung. Doing reproduction und doing family jenseits der heterosexuellen ‚Normalfamilie‘


Fragen der Reproduktion und Familiengründung stehen im Zentrum der (sozial-)politischen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. In Deutschland kam es zu einer zunehmenden rechtlichen Gleichstellung hetero- und homosexueller Lebensformen, doch bestehen soziale, institutionelle und rechtliche Ungleichheiten fort. Neue Reproduktionstechnologien erleichtern zwar mehr Menschen eine Elternschaft, doch Menschen jenseits des heterosexuellen (Ehe-)Paarseins sind hiervon oft ausgenommen, da aufgrund der gesellschaftlichen Hetero- und Paarnormativität abweichende Lebens- und Liebesformen abgewertet oder ausgeschlossen werden. Wir möchten daher die Heterogenität familialer Lebensformen jenseits der heterosexuellen Kleinfamilie - sog. Regenbogen- oder LGBTIQ-Familien - aus einer ungleichheitssoziologischen Perspektive theoretisch und empirisch fokussieren. Unter Familie verstehen wir Menschen, die ein Kind oder mehrere Kinder haben, seien es Einzelne, Paare oder z.B. Doppelpaare. Es sollen drei Fragenkomplexe empirisch untersucht werden: 1. Eine vorgeschaltete Literaturstudie soll rechtliche Regulierungen der Familiengründung bei LGBTIQ-Familien erhellen. Wir fragen, welche (Un-)Gleichheiten in der institutionalisierten Anerkennungsordnung sich für nicht-heterosexuelle und z.T. nicht paarförmige (potentielle) Familien finden lassen. Im Zentrum des Vorhabens steht, auf 1. aufbauend und ergänzt um etwa fünf ExpertInneninterviews, eine explorative, qualitative Untersuchung von ca. 12 nicht-hetero-sexuellen Ein- und Mehrelternfamilien (einschließlich Menschen, die eine solche Familie gründen möchten), die möglichst in gemeinsamen Interviews zu den folgenden, nur analytisch trennbaren, Aspekten befragt werden sollen: 2. Wie werden Kinderwünsche realisiert bzw. nicht realisiert? Also: Wie zeigt sich das konkrete doing reproduction der nicht-heterosexuellen (potentiellen) Ein- und Mehrelternfamilien vor dem Hintergrund der ambivalenten Anerkennungsordnung? 3. Wie zeigt sich das doing family, also wie wird Familie in der Alltagspraxis hergestellt und welche Erfahrungen sozialer Ungleichheit, des Ein- und/oder Ausschlusses machen die Familien hierbei? Diese soziologisch hoch aktuellen und relevanten Fragen sollen aus einer ungleichheits-, anerkennungs- und geschlechtersoziologisch-queertheoretischen Perspektive untersucht werden. Dabei verbinden wir innovativ (oft kulturwissenschaftliche) Forschungsansätze zum Reproduktionshandeln, zu Familie, zur Alltagspraxis von LGBTIQ-Familien sowie die soziologische Ungleichheits-, Geschlechter-, Familien- und Anerkennungsforschung. Theoretische Ziele sind die empirisch fundierte Weiterentwicklung des Familienbegriffes sowie der Konzeptualisierung von Elternschaft vor dem Hintergrund einer ambivalenten Anerkennungsordnung. Damit kann das Vorhaben u.a. die Ungleichheits- und Anerkennungsforschung sowie die Familiensoziologie informieren, wobei soziologisch weitgehend Neuland betreten wird.


Projektleitung
Wimbauer, Christine Prof. Dr. phil. (Details) (Soziologie der Arbeit und der Geschlechterverhältnisse)
Motakef, Mona Dr. phil. (Details) (Soziologie der Arbeit und der Geschlechterverhältnisse)
Peukert, Almut Dr. (Details) (Soziologie der Arbeit und der Geschlechterverhältnisse)

Mittelgeber
DFG: Sachbeihilfe

Laufzeit
Projektstart: 01/2018
Projektende: 07/2021

Forschungsbereiche
Empirische Sozialforschung

Forschungsfelder
Gender Studies, Qualitative Sozialforschung, Queer Studies, Sociology, soziale Ungleichheit, Soziologie, Soziologie der Familie und Paarbeziehungen

Publikationen
2020
Almut Peukert, Julia Teschlade, Elisabeth Holzleithner, Mona Motakef und Christine Wimbauer (2020) (Hrsg.): Sonderheft GENDER: Elternschaft und Familie/n jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit. Im Erscheinen (Mitte 2020).

Almut Peukert, Julia Teschlade, Mona Motakef und Christine Wimbauer (2020): 'Richtige Mütter und Schattengestalten‘: Zur reproduktionstechnologischen und alltagsweltlichen Herstellung von Elternschaft. In: Almut Peukert, Julia Teschlade, Christine Wimbauer, Mona Motakef und Elisabeth Holzleithner (Hrsg.) (2020): Elternschaft und Familie/n jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit. Sonderband der Zeitschrift GENDER. Opladen: Barbara Budrich. Im Erscheinen (Mitte 2020).

2019
Julia Teschlade und Almut Peukert (2019): Creating a family through surrogacy: Negotiating parental positions, familial boundaries and kinship practices. In: GENDER 11(2), S. 56-70.

Julia Teschlade (2019): Wenn das liebe Geld nicht wär': Zur Konstruktion von Intimität zwischen Tragemüttern und gleichgeschlechtlichen Männerpaaren. In: Feministische Studien 37 (1), S. 65-81.

Mona Motakef, Julia Teschlade, Almut Peukert und Christine Wimbauer (2019): LGBT*Q Familien: Zwischen Tendenzen der Gleichstellung und fehlender Anerkennung. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Caroline Küppers und Eva Harasta (Hrsg.): Familie von morgen. Neue Werte für die Familie(npolitik). Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich, S. 129-131.

2018
Julia Teschlade (2018): Conceiving before conception: Gay couples searching for an egg donor on their journey to parenthood. In: Sayani Mitra, Tulsi Patel and Silke Schicktanz (Hg.): Cross-cultural and comparative perspectives on surrogacy and gamete donations: The entanglements of macro- and micro-politics in India, Israel and Germany. Cham: Palgrave Macmillan, S. 301-323.

Christine Wimbauer, Julia Teschlade, Almut Peukert und Mona Motakef (2018): Paar- und Familienbilder der ‚Mitte‘ zwischen Persistenz und Wandel. Eine paar- und heteronormativitätskritische Perspektive. In: Nadine M. Schöneck und Sabine Ritter (Hg.): Die Mitte als Kampfzone. Wertorientierungen und Abgrenzungspraktiken der Mittelschichten. Bielefeld: transcript, S. 125-141.

Almut Peukert, Mona Motakef, Julia Teschlade und Christine Wimbauer (2018): Soziale Elternschaft - ein konzeptuelles Stiefkind der Familiensoziologie. In: Neue Zeitschrift für Familienrecht, H. 7, S. 322 - 326.

2017
Katja Hericks und Almut Peukert (2017): Reproduktion zwischen institutioneller Fortpflanzung und der Geburt neuer Leitbilder – ein Geleitwort. In: Nora Lege (Hg.): Wie Kinder Männer und Frauen machen. Über die alltägliche Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit im Kinderkriegen. 1. Auflage. Baden-Baden: Tectum Wissenschaftsverlag (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag, 83), S. 1–10.

TRANSFER
2018
Christine Wimbauer, Mona Motakef, Almut Peukert und Julia Teschlade (2018): Was ist eine Familie - und wenn ja, wie viele? In: humboldt chancengleich, Jg. 10, S. 50-52.

Christine Wimbauer und Mona Motakef (2018): Paar/ Paarbeziehung. In: Barbara Drinck, Ilse Nagelschmidt und Heinz-Jürgen Voß (Hg.): Gender Glossar. Online-Nachschlagewerk.

Almut Peukert und Mona Motakef (2018): LGBT*IQ-Familien: Zwischen Anerkennung und Ungleichheit. Zwei Soziologinnen untersuchen Benachteiligungen von "Regenbogenfamilien". In: Humboldt, H. 7, S. 7.

2017
Christine Wimbauer, Almut Peukert und Mona Motakef: Ambivalente Anerkennungsordnung (2017): Doing reproduction und doing family jenseits der heterosexuellen ‚Normalfamilie’. In: Stephan Lessenich (Hrsg.): Geschlossene Gesellschaften. Verhandlungen des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Bamberg 2016.

Zuletzt aktualisiert 2022-08-09 um 15:05