Spektrale Selbstschreiber: Okkulte Kommunikation und Wissenschaft im 20. Jahrhundert


Über das gesamte, lange 19. Jahrhundert hinweg spielten selbstschreibende Instrumente eine zentrale Vermittlungsrolle von Wahrheit und Objektivität innerhalb der wissenschaftlichen Kulturen. In den Naturwissenschaften und der Technik, aber eben auch im Okkultismus garantierten automatisierte Apparate die mechanisierte Übersetzung zufälliger und unerklärlicher Phänomene in wissenschaftlich analysierbare Kurven. Im Grenzbereich der menschlichen Wahrnehmung erlaubten Selbstschreiber die objektive Aufzeichnung von flüchtigen Manifestationen sowohl innerhalb der Physiologie wie im Okkulten. Das Projekt untersucht Veränderung und Ersetzung dieser Epistemologie des Selbstschreibens durch informationstechnische und statistische Methoden. Während die Wissenschaftler mithilfe der »graphischen Methode« versuchten, das Problem der unerklärlichen oder okkulten Phänomene zu lösen, konnten mit den statistischen und elektronischen Medien des beginnenden 20. Jahrhunderts die Grenzen der mechanischen Selbstaufzeichnung verschoben und aufgelöst werden. Diese neue Strategie des Verständnisses okkulter Phänomene ist eng mit der Entstehung sowohl der »sozialen Kontrolle« oder »Kontrollgesellschaft« wie der protodigitalen und elektronischen Medien verbunden, in denen die Gesetze der Zirkulation, die Muster der Abweichung, des Fehlers und des Codes die Behandlung und Interpretation von okkulten Phänomenen bestimmten. Fokussiert wird die Untersuchung dieser Zusammenhänge in exemplarischen Fallstudien zu: (1) der Entwicklung von Fragebögen und statistischen Analysen durch William James und Charles Sanders Peirce zur Erklärung psychischer Phänomene am Ende des 19. Jahrhunderts, (2) den kybernetischen Studien des Wahnsinns von Gregory Bateson, (3) der weltweit vernetzten wissenschaftlichen Suche nach außerirdischer Intelligenz sowie (4) den Studien des Linguisten Konstantin Raudive zu okkulten Nachrichten in der elektronischen Kommunikation.


Sprecher/in
Kassung, Christian Prof. Dr. phil. (Details) (Kulturtechniken und Wissensgeschichte)

Mittelgeber
DFG: Sachbeihilfe

Laufzeit
Projektstart: 09/2015
Projektende: 12/2016

Forschungsbereiche
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft

Zuletzt aktualisiert 2022-09-09 um 01:07