Unterschiede denken II: Struktur - Ordnung - Kommunikation (Deutsch-Französiches Doktorandenkolleg)


Das Deutsch-Französische Doktorandenkolleg verfolgt eine Fragestellung, die für Geschichts- und Sozialwissenschaften gleichermaßen relevant ist. Wie in den beiden vorangegangenen Arbeitsphasen bilden die Geschichtswissenschaften den Kern, wobei wiederum die exzeptionelle Breite hervorzuheben ist. Das Kolleg ist dezidiert epochenübergreifend ausgerichtet, Mediävist/inn/en, Vertreter/innen der historischen Frühneuzeit- und der Neuzeitforschung arbeiten gemeinsam mit Zeithistoriker/inne/n an verbindenden Fragestellungen. Die wichtigste Innovation gegenüber den beiden früheren Arbeitsphasen liegt in der erheblich intensivierten Zusammenarbeit mit Ethnolog/inn/en, Anthropolog/inn/en, Geograph/inn/en, Soziolog/inn/en, Rechtswissenschaftler/inne/n und Politikwissenschaftler/inne/n, während die bewährte Kooperation mit der Kunstgeschichte fortgeführt wird. Besonders von der verstärkten Einbindung der Sozialwissenschaften versprechen wir uns neue Einsichten in die Gegenstände der Fragestellung, vor allem aber auch eine Intensivierung methodologischer Diskussionen. Im Zentrum der Arbeit wird weiterhin Europa stehen, doch werden – eine weitere Innovation des Arbeitsprogramms – die Interaktionen Europas mit der übrigen Welt entsprechend der wachsenden globalen Orientierung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften ausdrücklich einen zweiten Schwerpunkt des Kollegs bilden. Dafür wurde das Internationale Geisteswissenschaftliche Kolleg "Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive" ("re:work", Leitung: Prof. Dr. Andreas Eckert) an der Humboldt-Universität als neuer Partner gewonnen. Unter dem Rubrum "Unterschiede denken" hat sich das Kolleg bislang bereits mit Prozessen der Klassifikation, der Differenzierung und der Konstruktion von Unterschieden beschäftigt. "Unterschiede denken II" greift dies auf und erweitert die Agenda in zweifacher Hinsicht: Das Kolleg thematisiert zum einen in seiner dritten Phase verstärkt die Konstruktionen Europas und der europäischen Gesellschaften in ihren Wechselbeziehungen zur außereuropäischen Welt, was neue Einsichten in konvergierende oder konkurrierende Vorstellungen von Strukturen, Ordnungen und Kommunikation eröffnet. Zum anderen verspricht der intensivierte Dialog zwischen Geschichts- und Sozialwissenschaften neue Erkenntnisse hinsichtlich disziplinärer Traditionen und epistemischer Systeme, die obendrein in deutsche und französische, gegebenenfalls auch andere nationale Referenzsysteme einzuordnen sind. Das von den Antragssteller/inne/n vorgeschlagene Thema entspringt ihrem Wunsch nach einer vertieften interdisziplinären Durchdringung der überaus dynamischen und komplexen Wechselwirkungen zwischen Strukturen, Ordnungen und Kommunikation. Diese drei Bereiche sind engstens miteinander verklammert; in ihnen und durch sie werden Unterschiede konstruiert, thematisiert und legitimiert. Solche Unterschiede können historisch gewachsen sein und auf historische Erfahrungen rekurrieren. Aber sie können auch in der Verschiedenheit von Wissenschafts- und Fachkulturen, von Wissenschafts- und politischer Sprache, ja bisweilen von Alltagssprache(n) beruhen. Und immer werden Unterschiede gedacht in der Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Anderen, dem Fremden. Das kann, wie im Falle Frankreichs und Deutschlands, die jeweils andere Gesellschaft am anderen Ufer des Rheins sein. Es können aber auch die ganz Fremden sein, denen man bei der Erschließung kolonialer Räume, auf ethnologischen Expeditionen oder touristischen Unternehmungen begegnet. Die Erfahrung solcher Begegnungen wiederum wirkt auf das Denken über Unterschiede zurück, begründet neue Leitdifferenzen, verändert zugleich aber auch die Konstruktionsmodalitäten von Unterschieden überhaupt. Ein Beispiel: Deutsche und Franzosen mögen anders über ihre nationalen Unterschiede denken, seit beide Gesellschaften die Erfahrung islamischer Zuwanderung machen. Religiös-konfessionell-kulturell bestimmte Differenzierungssysteme überlagern politisch-historische. Es hieße, die besondere intellektuelle Attraktivität des Kollegs preiszugeben, würde man in der dritten Arbeitsphase eine grundlegende epistemische und methodische Neuorientierung vollziehen. Der bewährte und in der deutsch-französischen Forschungslandschaft weithin positiv beachtete Ansatz des Kollegs, von (sozial- und kulturwissenschaftlich) objektivierten gesellschaftlichen Strukturen auszugehen, dies aber immer zusammenzubringen mit der Erforschung von Repräsentationen, wird auch für die dritte Arbeitsphase verbindlich sein. Repräsentationen sind dabei zu verstehen als Kategorien der Wahrnehmung, der Deutung und der Klassifikation, mit denen Menschen der Welt begegnen und in denen sie Welt deuten und in ihr handeln. Die besondere Sensibilität für die Bedeutung und die Analyse von Repräsentationen hilft, eine Brücke zu bauen zwischen "objektiven" Tatbeständen, wie sie beispielsweise die empirische Sozialforschung untersucht, und "subjektiven" Tatbeständen, denen etwa das besondere Interesse der Ethnologie oder der Geschichtswissenschaften gilt. Beides, "Objektivität" und "Subjektivität", ist in der Überzeugung der Antragsteller gar nicht voneinander zu trennen. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass alle Dissertationsprojekte in diesem Kolleg nach einer für alle verbindlichen Methodik zu arbeiten hätten, im Gegenteil ist ausdrücklich methodische Flexibilität und reflektierte Selektivität das Ziel. Allen gemeinsam soll jedoch sein, die „subjektive“ Dimension ihres jeweiligen Themas immer mit zu reflektieren – wie auch die Historizität und kulturelle Vorprägung ihres disziplinären Zugriffs. Das Kolleg befasst sich nicht allein mit Formen, Akteuren und Wandel von Struktur, Ordnung und Kommunikation sowie ihren Interaktionen, sondern macht immer auch die geschichts- und sozialwissenschaftlichen Diskurse selbst zum Gegenstand der Analyse. Dadurch soll allen Beteiligten die Vorprägung der jeweils eigenen Kategorienbildung bewusster werden; soll deutlicher werden, dass Kategorien und Klassifikationen von Unterschieden auf spezifische Bedingungen zurückgehen. Auf diese Weise werden diese Kategorien relativiert und historisiert. In diesem Sinne bleibt das Kolleg seinem höchst bewährten reflexiven Forschungsansatz verpflichtet. Die binationale Perspektive auf unterschiedliche historiographische Traditionen wird innovativ erweitert durch die Einbeziehung der Sozialwissenschaften, die einerseits selbst unterschiedlichen nationalen Traditionen folgen, andererseits durch einen kontrastiven Vergleich die Unterschiede zwischen geistes- und sozialwissenschaftlichen (über nationale Grenzen hinweg) Denktraditionen und Kategorienbildungen erkennbar werden lassen. Dadurch werden all jene Selbstverständlichkeiten radikal in Frage gestellt, die allzu häufig einem echten interdisziplinären Dialog im Wege stehen: die geläufigen Abgrenzungen zwischen Disziplinen und Subdisziplinen, zwischen zentralen und eher marginalen Untersuchungsfeldern.


Projektleitung
Metzler, Gabriele Prof. Dr. (Details) (Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen)

Mittelgeber
Land Mischfinanzierung (Schwerpunkt Land)

Laufzeit
Projektstart: 01/2013
Projektende: 12/2027

Zuletzt aktualisiert 2023-28-11 um 05:50